Werken

Der Nachlass von Wilfrid Moser, der Werke aus den frühen 30er Jahren bis zum Tod des Künstlers beherbergt, ermöglicht eine differenzierte kunsthistorische Einschätzung und eine neue inhaltliche Interpretation des Werkes von Wilfrid Moser. Zur Eigenart von Mosers Werk gehören verschiedenen Stilwechsel und Aufbrüche in neue Epochen, avantgardistische Experimente und künstlerische Innovationen, mit welchen er spätere Tendenzen und Strömungen vorwegnimmt. Er bleibt aber – ausser in der Zugehörigkeit zum Tachismus der 50er Jahre – in seiner Entwicklung ein Einzelgänger. Seine innovativen Leistungen und die Zusammenhänge innerhalb der Vielfalt der Ausdrucksweisen wie zum Beispiel sein figurativer Realismus der 80er Jahre mit den Gesteinslandschaften, erhalten heute – durch die Malerei der Neuen Leipziger Schule – erneut eine Aktualität.

Im zeichnerischen Werk, vor allem in den Pastellen, finden sich Pfade zu den Übergängen und Aufbrüchen einer konsequenten Werkentwicklung, bei welcher die Besessenheit für die Schaffung des Raumes als einer ungreifbaren Dimension das Leitmotiv bildet.
In der nachfolgenden Epochenabfolge werden die veerschiedenen Epochen kurz charakterisiert und mit einigen Werken illustriert.

1934-1945

Marokko, Italien, Paris, Tessin – Holzschnittzyklus

Während Wilfrid Mosers Marokko-Aufenthalt (1934 – 1939) entsteht eine Gruppe von Stadtbildern, welche bereits die Motivik und das Raumkonzept seiner späteren Grosstadtlandschaften enthalten: Die Ballung von Architekturkörpern, diagonale Raum bildende Strassenschluchten, labyrinthische Grundrisse, der Wechsel von Ansicht zu Aufsicht. Auch das Thema des Steinbruches, die angeschnittenen Volumenteile und die durch das Licht verwandelte Materie finden hier ihren Ausgangspunkt.

In Italien ist es die Begegnung mit der komplexen architektonischen Anlage des Domes von Siena, die ein Schlüsselerlebnis für den jungen Künstler wird und seine obsessive Beschäftigung mit dem Raum prägt.

Während dem 2. Weltkrieg entsteht im Tessin ein Bildzyklus, in welchem Mosers Auseinandersetzung mit dem deutschen Expressionismus und seine Betroffenheit vom Kriegsgeschehen sichtbar wird.

1945-1950

Paris: Offene Häuser, Metzgereien, Metro, Jardin des Plantes

Wilfrid Moser lässt sich unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg in Paris nieder. Geprägt von der inspirierenden Nachkriegsatmosphäre der Metropole, entwickelt er eine Grossstadtikonographie, die sich bis in sein Spätwerk ziehen wird. Die neue Motivwelt gestaltet sich in einer naiv anmutenden Figuration, in welcher Einflüsse der Malerei von Rouault, Utrillo und Ensor erkennbar sind. In den Jardins des Plantes, den Metzgereien, den Offenen Häusern den Métrobildern figurieren sich Eindrücke und Vorstellungen zu poetischen Metaphern, verweisen bühnenartige Szenen auf Situationen des menschlichen Dramas.

Die poetische Figuration, der narrative Erzählstil transformieren sich zwischen 1945 und 1948 zu einer Abstraktion, die vom Kunstkritiker Charles Estienne unter dem Begriff „Tachismus“ als einer Tendenz der gestischen Abstraktion in die 2. Ecole de Paris eingereiht wird.

1945-1953

Übergang zur Abstraktion

Am Motiv der Maison Ouverte lässt sich dieser Übergang nachvollziehen. Mosers Zugehörigkeit zum Tachismus ist oft beschrieben worden, nicht aber dessen Entwicklung. Die Ausstellung in Bern unternimmt es zum ersten Mal, diesen Weg aufzuzeigen. Dabei werden neben Schlüsselwerken auch Arbeiten mit experimentellem Charakter gezeigt, die Einblick in den Entstehungsprozess vermitteln.

Die Architektur der Offenen Häuser wird auf einen abstrakten Raster reduziert, Figuren und Dinge werden von der sich ausbreitenden Malfläche aufgesogen und überdeckt. Die Fenster, die Öffnungen werden so zum Schauplatz für die Malerei, in welcher der „acte de peindre“ stattfindet: die anekdotischen Szenen verschwinden vor der Realität der Malerei. Die abstrakten Strukturen bleiben verbunden mit räumlichen Dimensionen und dem Ausdruck einer inneren Stimmung.

1950-1960

Lyrische Abstraktion (Tachisme), Gestische Abstraktion

In den 50er Jahren wird Wilfrid Moser zu einem führenden Vertreter der gestischen Abstraktion im Paris der Nachkriegszeit. Er wird von bedeutenden Kunstkritikern begleitet und ist an zahlreichen Gruppenausstellungen in Europa vertreten. Durch einen dynamischen, mit dem Spachtel gesetzten Farbauftrag entwickelt er eine Handschrift, die ihm ermöglicht, das Spontane des Malaktes mit Raum schaffenden Konstruktionen zu verbinden. Im abstrakten Malgeflecht lassen sich Merkmale von Kathedralen, Strukturen von Marmorsteinbrüchen, Gefüge von Mauern erkennen. Gegen Ende der 50er Jahre spitzt sich der dynamische Rhythmus zu, die Handschrift wird expressiver. In den bewegten Farbströmen künden sich figurative Elemente an.

Mosers tachistische Kompositionen lassen sich während ca. zehn Jahren in den Umkreis der 2. Ecole de Paris einordnen.

1961-1966

Figuration: Eurylochos, Concièrge, Métro Holzschnitte

In den Gemälden zu Beginn der 60er Jahre nimmt Moser die Grossstadtthematik seiner frühen Pariserbilder wieder auf. Die Maison ouverte verwandeln sich zur Concièrge, die Boucherie zu Eurylochos, die Métro wird zum Paysage de Métro. Sie sind geprägt von der Unruhe und Dynamik des Grossstadtklimas, für welches der Künstler mit seiner expressiven gestischen Handschrift eine malerische Entsprechung entwickelt und gefunden hat.

Mit den Paysages de Métro hat Moser für den urbanen Lebensraum im Untergrund der Grossstadt einen neuen Bildtypus geschaffen. Im Malstrom der Métrobilder wird die Menschenmasse zum dynamischen Körper. Die Figuren werden zur Groteske verzerrt. Verloren und fasziniert befinden sie sich in einem Raum, durch welchen sie an Reklame- und Plakatfetzen vorbei getrieben werden, konfrontiert mit den Verheissungen der urbanen Mythologien.

Mit der Zuwendung zu Alltagsthemen, der Einführung von Collageelementen, den Assemblagen (s. Kunststoff-Plastik) rückt Mosers Malerei in die Nähe der damaligen Avantgardeströmung der Nouveaux Réalistes. Die Mythologisierung der Alltagsthematik, der expressive Malduktus setzen seine Malerei aber von dieser in Paris sich entwickelnden Tendenz ab und zeigen sie, aus heutiger Sicht, als Vorläufer einer figurativ expressiven Malerei, wie sie mit der Leitfigur von Georg Baselitz Ende der 60er Jahre in Deutschland zum Durchbruch gelangte.

1962-1986

Assemblages, Begehbare Kunststoff-Skulpturen

Assemblages, Kunststoff-Plastiken

Gleichzeitig mit den Leinwandbildern, in die auch Collageelemente eingefügt sind, entstehen Assemblagen aus Holzbrettern, bemalt und mit Plakat- und Reklamefetzen durchsetzt. Sie zeigen das Bedürfnis des Malers, aus der Bildfläche auszubrechen und sind darin Vorläufer der bemalten Plastiken, die ab 1961 entstehen und den Maler bis 1990 beschäftigen.
Die rot-weiss gestreiften Kunststoff-Plastiken werden Ende der 60er Jahre zu einem Markenzeichen des Künstlers, ihre innovative Leistung ist jedoch kunstgeschichtlich noch kaum gewürdigt worden. Die Ausstellung in Bern wird einen besonderen Akzent auf die Bedeutung dieser Schaffensepoche legen. Moser ist nicht durch die Bearbeitung der Materie, sondern durch das Vorstossen der bemalten Oberfläche in den Raum zu neuen plastischen Ausdrucksformen gekommen. Leicht form- und bemalbare Materialien aus der Flugzeugindustrie (Epoxyd-Kunstharz) haben die Ausformung zu dreidimensionalen Bildern, wie der Künstler die farbigen Plastiken nannte, ermöglicht.

Mosers farbige Plastiken aus Kunststoff sind fantastische Gebilde in einer Verschmelzung von Architektonischem und Organischem, in welchen sich Raumerlebnisse der Grosstadt kumulieren und in ihren Widersprüchen herausfordern. Das sich Verlieren- und Wiederfinden in labyrinthischen Anordnungen des Raumes wird räumlich erlebbar gemacht. In den Grossstadtkörper eingefügt sind archetypische Architekturelemente wie Türme, Kuppeln, Schutzmauern, auf welchen die Insignien der Konsumwelt hervorstechen. Einzelne Plastikentwürfe werden Modelle zu den grossen begehbaren Skulpturen, die sich an verschiedenen Orten in Frankreich und der Schweiz in öffentlichen Räumen befinden.

1975-1980

Uebergang Skulptur, figuration

Um solche Entwicklungs- und Verwandlungsprozesse nachvollziehen zu können, sind Mosers Arbeiten auf Papier aufschlussreich. Die nachfolgende Zusammenstellung skizziert einen Übergang von der Grossstadt-Skulptur zur Gesteinslandschaft anhand von Tuschezeichnungen, Aquarellen, Pastellen und Ölkreiden.

1975-1985

Raumexpressive Figuration: Steinbrüche, Signe de Piste

Die Gesteinsbilder, die Moser 1977 erstmals ausstellt, bilden den schockierendsten Wechsel zu einer neuen Epoche in seinem Werk. Der Wiederaufnahme der Malerei in einer fast monochromen Grautonigkeit, in sublimierter Handschrift, wird in Kunstkreisen mit Unverständnis begegnet. Erst heute lassen sich in Mosers Geröllhalden und Steinbrüchen die Antizipation einer neuen gegenständlichen Malerei erkennen, welche bis auf die Neue Leipziger Schule vorausweist.

Die Steinhaufen und Steinbrüche in einer öden Landschaft stehen der turbulenten farbigen Grosstadtwelt diametral entgegen. In ihrer plastischen Sprache und ihrer räumlichen Anordnung sind die gemalten Steinskulpturen jedoch eine Weiterentwicklung der in den realen Raum gesetzten Kunststoff-Plastiken. Die künstlerische Aneignung des Raumes ist das Leitmotiv in Mosers Schaffen. Mit den Gesteinslandschaften findet er neue Lösungen für die Gestaltung eines expressiven Raumes auf der Bildfläche. Im Motiv des Steinbruches vergegenständlicht Abbruch und Aufbau, Wegnehmen und Neuformen. Der Steinbruch wird zum Werkplatz des schöpferischen Prozesses.

In den Gesteinsdarstellungen um 1983 kündet sich der Auftakt zum Spätwerk an: der mit Spachtel gesetzte expressive Dreiklang, Merkmal der in den 50er Jahren entwickelten Handschrift, wird isoliert und als ein Zeichen gesetzt. Es leuchtet als realistisches und sinnbildliches Wegzeichen auf den Gesteinsfragmenten auf.

1980-1985

Natur, Unterholz, Bäume

Die Aktualität von Mosers Malerei zeigt sich auch in den Unterholzdarstellungen, die zeitgleich mit den Gesteinsbildern entstehen. In Malerei und Fotografie der Gegenwart fällt die Zuwendung zu Versatzstücken der Natur auf, Gräser, Unterholz, Bäume, welcher ähnliche künstlerische Anliegen zu Grunde liegen wie Mosers Malerei der 80er Jahre.

Das Motiv des Unterholzes wird für Moser Anregung und Anlass zu einer Eroberung des Raumes durch die Zeichnung. Die Zeichnung begleitet alle Schaffensepochen, in den Unterholzdarstellungen wird sie gleichsam zum Thema von Mosers Malerei. Durch das Liniengeflecht der farbigen Zeichnung werden räumliche Durchblicke gebildet, welche, in ihren Überschneidungen, sich zu einem allseitig sich ausbreitenden Raumlabyrinth verdichten. Das undurchschaubare Raumgeflecht ist von geheimnisvoller Ausstrahlung. In ihm tauchen die Gewölberippen von mittelalterlichen Kathedralen, Piranesis Carceri, die Luftschlösser von Vieira da Silva. Sie bilden auch eine Verbindung zu zeitgenössischen Arbeiten wie jenen von Brice Marden.

1986-1994

Auflösung des Motivs, expressive gestische Malerei

Der isolierte malerische Dreiklang bildet den Auftakt zu Mosers Alterstwerk. Anknüpfend an das Liniengeflecht der Zeichnung in den Unterholzdarstellungen verselbständigt sich der rhythmische Ablauf des lang gezogenen dreibahnigen Spachtelstriches. Der expressive Duktus, in intensiviertem Farbklang, spitzt sich aggressiv und schriftartig zu. Aus den dynamisch-rhythmischen Abläufen lassen sich insekt- und blumenartige Motive entziffern als Zitate und Erinnerungsfetzen von Landschaftsmalerei. „Baum mit den schwarzen Blüten“, „Montagne Hou“ heissen die Gemälde, deren dichotome Anordnung an Kampfsituationen erinnern. Zwischen den sich konfrontierenden Spannungsfeldern dringt, in einer sogartigen Bewegung, ein kalter Lichtraum ein. Dieser erweitert die Grundkonstante von Mosers Werk, die Auseinandersetzung mit dem Raum, um eine neue Dimension.

Zu Beginn der 90er Jahre nimmt Moser seine frühen Motive, Métro, Offene Häuser, Metzgereien, wieder auf, überschichtet und überlagert sie. In dieser komplexen Verdichtung seiner eigenen Motivwelt breitet sich das Alterswerk in zwei entgegen gesetzte Richtungen aus: In Verbindung von unruhiger Handschrift und kaltem spukhaftem Lichtraum erhalten die Métrolandschaften eine apokalyptische Ausstrahlung und Bedeutung. Gleichzeitig formieren sich Figurengruppen von Schauspielern zu Aufzügen und Manifestationen, deren Farbigkeit und exstatische Bewegung zu einer Atmosphäre von grotesker Heiterkeit führt. Diese erreicht in den grossformatigen Pastellen der 90er Jahre einen Höhepunkt.

1992-1997

Neue Figuration, Pont Alexandre, Radierungen

Das Monument steht im Mittelpunkt des letzten Werkzyklus von Wilfrid Moser, inspiriert von der mit neubarocken Monumenten geschmückten Brücke „Pont Alexandre III“ in Paris. Es ist Denkmal des geschichtlichen Geschehens und Überhöhung der persönlichen Erinnerung. Vor einer Nachtlandschaft sind die Standbilder in einer barockartigen Szenerie zusammengestellt. Ihre Brüchigkeit und Vergänglichkeit bringen das Denkmal als Topos der Dauerhaftigkeit und Verewigung ins Wanken. Den Zustand dieses Wankens, vor dem Zusammenbruch, aus dem Neues entstehen kann, inszeniert der Künstler als ein fantastisches Theater im nächtlichen Raum: eine festliche Zelebrierung der Vanitas. Mit diesem Werkzyklus gelingt Moser nochmals eine ikonographische Innovation in einer künstlerischen Synthese seiner Ausdrucksvielfalt.

1994-1997

Grossformatige Ölpastelle

Gleichzeitig, zwischen 1994 und 1997 entstehen grossformatige Ölkreide-Pastelle von grosser Leichtigkeit und intensiver Farbigkeit. Szenen aus Don Quichotte ziehen in einer Danse Macabre vorüber; die neobarocken Monumente des Pont Alexandre haben sich in „Capricci“ verwandelt.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte und das Betroffensein vom politischen Geschehen haben Wilfrid Mosers Lebenslauf geprägt. Seine Malerei spiegelt nicht nur die Vertrautheit mit der europäischen Malerei durch alle Jahrhunderte, sondern auch die Intelligenz eines Künstlers, der als Intellektueller das 20. Jahrhundert begleitet und reflektiert hat.

Öffentliche Sammlungen

Museen

Schweiz
– Aargau, Kunsthaus Aarau
– Bellinzona, Villa dei Cedri
– Bern, Kunstmuseum
– Chur, Bündner Kunstmuseum
– Locarno, Pinacoteca Casa Rusca
– Luzern, Kunstmuseum
– Olten, Kunstmuseum
– St. Gallen, Kunstmuseum
– Schaffhausen, Museum zu Allerheiligen
– Thun, Kunstmuseum
– Winterthur, Kunstmuseum
– Zug, Kunsthaus
– Zürich, Kunsthaus
– Zürich, ETH, Graphische Sammlung
Frankreich
– Paris, Musée de la Ville de Paris
– Paris, Centre Georges Pompidou, Paris
– Musée de Metz
– Musée de Grenoble

Institutionen

– Schweizerische Eidgenossenschaft (Confédération Helvétique)
– Kanton Zürich
– Bank Julius Baer
– Gustav Zumsteg
– Mobiliar-Versicherung
– National-Versicherung
– Crédit Suisse (ehemalige Sammlung Volksbank)
– Seedammzentrum Pfäffikon
– UBS